Shalom - das Utopia auf einem alten Bauernhof
Die 60 Bewohner des Laurentiushofes suchen ihren Weg zum Frieden
aus: Waldeckische Landeszeitung vom 27. Mai 1989 (offensichtliche Druckfehler z.T. korrigiert)


Shalom, das hebräische Wort für Frieden, ist zugleich ein Schlüsselwort für den Laurentiushof in Wethen. Seit 14 Jahren versuchen rund 60 Menschen in einer ungewöhnlichen, von christlichen Motiven geleiteten Wohngemeinschaft, dem wohl für alle Menschen erstrebenswerten Ziel, dem Frieden, näherzukommen. Ein Utopia auf dem Lande? ”Wir sind ein Stückchen näher gekommen”, glaubt Sprecherin Gisela Hinkel.

Wer sind die Menschen, die einen umgebauten Bauernhof in der Mitte des 500-Seelen-Ortes bewohnen? Was unterscheidet sie womöglich von den übrigen Einwohnern? Was bringt sie dazu, ein Leben nach anderen Normen in einer großen Gruppe zu führen?

Gemeinsame Kasse
Shalom - dem Frieden dienen, heißt für Frau Hinkel, den Dienst mit der Waffe abzulehnen sowie sich auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen und in der Kirche für das hehre Ziel einzusetzen. Die überwiegend akademisch gebildeten Männer und Frauen - ein Großteil mit Familien - üben unterschiedliche Berufe aus. Sie haben sich dazu verpflichtet, ihren Verdienst in eine gemeinsame Kasse zu geben, aus der sowohl gemeinsame Anschaffungen, die Gebäudeunterhaltung oder Lebensmittel bezahlt werden, als auch ein deutscher Dritte-Welt-Fonds unterstützt wird. "Das heißt nicht, daß jemand sein Haus verkaufen muß", fügt Gisela Hinkel hinzu.
Auf der gemeinsam geschaffenen materiellen Grundlage wollen die Neu-Wethener im Sinne des heiligen Laurentius, der sein Leben den Armen widmete, Änderungen in der Kirche und in der Gesellschaft herbeiführen, wie Frau Hinkel berichtet. Änderungen, die den Frieden in de Welt ein Stück näherbringen sollen.

Auch Widerspruch
Die Leute vom Laurentiushof lassen sich den Worten Frau Hinkels zufolge nicht ausschließlich als Missionare charakterisieren. Friedensarbeit sei nicht sinnvoll, wenn man Nicht im kleinen Kreis damit beginne. In der Gruppe wollen die Bewohner des Hofes lernen, miteinander auszukommen, Geld und Ideen zu teilen.
Die Männer und Frauen engagieren sich teilweise in der evangelischen Kirchengemeinde. Pfarrer Wolfgang Kelm beispielsweise steht mit einem Bein in der Wethener Gemeinde und mit dem anderen im Laurentiushof. Darüber hinaus widmen sich die Menschen etwa der Gefangenenhilfsorganisation "amnesty international", setzen sich gegen die Nutzung der Atomkraft oder für Hilfsaktionen in Nicaragua ein. Die Bewohner der christlich geprägten Kommune ernten für ihren Einsatz nicht nur Anerkennung, sondern stoßen zweifelsohne auch auf Widerspruch.

Ökumene fördern
Der seit 30 Jahren bestehende Laurentiuskonvent als Dachorganisation will in seinen Gruppen in Wethen, bei Salzkotten, Wetzlar und Königswinter die Ökumene fördern. Das geistliche Leben unterscheidet sich daher auf dem Hof von dem der alteingesessenen Nachbarn. Das Gruppenleben umfaßt zum Tagesabschluß die stille Meditation, Gebete oder Gesang. Sonnabends kommen die Bewohner zum Shalom-Gebet zusammen, und einmal monatlich wird eine Eucharistiefeier abgehalten.
Die Bindung an die evangelische Kirche ist nach Auskunft von Frau Hinkel, die selbst dem Wethener Kirchenvorstand angehört, unterschiedlich ausgeprägt. Daß die Laurentius-Jünger zum Abendmahl nicht im herkömmlichen Sonntagsstaat, sondern in Jeans und selbstgestricktem Pullover erscheinen, wird von Einwohnern zwar kritisch beobachtet, führt allerdings nicht zur offenen Auseinandersetzung.

Insel der Alternativen
Gleichwohl wird offenkundig, daß die “zugezogenen” Alternativen innerhalb des Dorfes wie auf einer Insel leben. Die Kontakte zwischen ihnen und der Bevölkerung sind nicht sonderlich intensiv, das bringen die unterschiedlichen Auffassungen und Lebensweisen mit sich. Zwar bieten sich Möglichkeiten, den Hof kennenzulernen, doch “man kommt nicht einfach so auf den Laurentiushof”, sagt Frau Hinkel.
Wer sich für das Zusammenleben auf dem früher landwirtschaftlichen Anwesen, das mit Hilfe der evangelischen Kreditgenossenschaft zu einem schmucken Gebäudekomplex umgestaltet und vom Trägerverein angemietet worden ist, und im zusätzlich 1986 gepachteten Gasthaus Flamme entschieden hat, muß „viel Zeit und Kraft“ aufbringen. Nicht alle schaffen das: „Einige sind seit den Anfangsjahren geblieben. Andere haben die räumliche Distanz in Wethen oder anderswo gesucht”, wird berichtet. Andere haben sich von der Gruppe verabschiedet, “weil das nicht ihr Weg war”.

Impulse aus Germete
“Wer kommt, sollte dem Gruppenleben Vorrang einräumen, seine Lebensziele formuliert haben, einen Beruf ausüben und nicht mit allzuviel persönlichen Problemen belastet sein”, meint die Hof-Sprecherin. Die dort lebenden Menschen seien keine Aussteiger, wollten vielmehr Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen, und sie seien kein therapeutisches Auffangbecken.
Die Gemeinschaft hat sich auf eine Anregung der Germeter Serviam-Schwestern hin in Wethen etabliert. Die Ordensangehörigen haben für die in Köln, Mönchengladbach und Minden mit 70 Mitarbeitern tätige “Ökumenische Förderergemeinschaft für soziale Dienste - Kirche in Not” Sozialarbeit geleistet. Mit dem damaligen Geschäftsführer dieser Vereinigung Pfarrer Kelm, der Mitarbeiterin Gisela Hinkel und zwei weiteren Beschäftigten ist ihr Sitz Mitte der 70er Jahre in den Diemelstädter Ortsteil verlegt worden.


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